ANALYSE/Kreuzfahrtgesellschaften brillierten zuletzt an der Börse

(Dow Jones Newswires)

Von Spencer Jakab

NEW YORK (Dow Jones)--Fragt man einen Kleinanleger nach der erfolgreichsten Branche an der Börse dieses Jahr, würde er oder sie wahrscheinlich auf künstliche Intelligenz (KI), Elektrofahrzeuge oder soziale Medien tippen. Es waren aber die Kreuzfahrtunternehmen, obwohl Konzerne wie Nvidia, Advanced Micro Devices (AMD), Tesla und der Facebook-Eigentümer Meta Platforms glänzende Renditen erzielten und für Schlagzeilen sorgten. Carnival, Norwegian Cruise und Royal Caribbean sind allesamt unter den Top 10 der großen Unternehmen und belegten im zweiten Quartal die ersten drei Plätze im S&P 500. Der Grund dafür waren niedrige Erwartungen.

Carnival, die größte und finanziell am stärksten gebeutelte der drei großen Reedereien, führt das Feld bei der Aktienrendite an. die Aktie hat sich seit Jahresbeginn um 134 Prozent auf 18,86 US-Dollar hochkatapultiert. Daran ändert auch nichts, dass das Unternehmen nach den verheerenden Auswirkungen der Corona-Pandemie nur sehr langsam in die Gewinnzone zurückkehrt. Anfang des Jahres hatte CEO Josh Weinstein eine "phänomenale" Wave Season angekündigt - die Hauptperiode für Buchungen von Januar bis März -, doch Analysten waren überwiegend skeptisch. Ende 2022 lauteten mehr als zwei Drittel der von Factset erfassten Bewertungen "Halten" oder "Verkaufen", und das durchschnittliche Kursziel lag noch im Februar bei nur 10,38 Dollar.

   Hoher finanzieller Ballast aus der Pandemie erhöhte Nervosität

Die Analysten zweifelten nicht am Wunsch der Öffentlichkeit, wieder Kreuzfahrten zu unternehmen, aber sie waren nervös wegen des finanziellen Ballasts, den die Kreuzfahrtunternehmen durch den Lockdown ihrer Branche aufgenommen hatten. So verdreifachte sich die Nettoverschuldung von Carnival von ohnehin schon hohen 13 Milliarden Dollar am Ende des Geschäftsjahres 2019 auf mehr als 30 Milliarden Dollar am Ende des Geschäftsjahres 2022. Analyten sorgten sich auch um die Bereitschaft der Touristen aus der Mittelschicht, für ihren Urlaub Geld auszugeben, während sie durch die hohe Inflation unter Druck gerieten - auch wenn die Auslastung der Kreuzfahrtschiffe in den vergangenen Abschwüngen stabil war.

Dies ist ein seltener Fall, dass die Wall Street in Bezug auf eine pandemische Erholung zu vorsichtig war. Ende vergangenen Jahres schien die Annahme vernünftig, dass alle drei großen Kreuzfahrtgesellschaften über einen ausreichenden Cashflow verfügten, um die anstehenden Fälligkeiten ihrer Schulden zu bedienen. Außerdem gab es hinreichend Grund zur Hoffnung, dass sie durch die sinkenden Treibstoffpreise einen Schub erhielten.

   Schuldenbereinigter Marktwert erscheint immer noch günstig

Selbst nachdem sich die Kreuzfahrtunternehmen über mehrere Jahre hinweg bemüht hatten, ihren Verschuldungsgrad nach mehreren Zinserhöhungen der US-Notenbank Fed auf Vor-Pandemie-Niveau zu senken, erschien ihr Eigenkapital stark unterbewertet. Führt ein Sektor den Aktienmarkt an, ist das in der Regel darin begründet, dass sich die kurzfristigen Gewinnerwartungen verbessern, aber bei zwei der drei Kreuzfahrtunternehmen haben sich für das laufende Jahr die Prognosen seit Anfang des Jahres sogar eingetrübt. Diesmal lag es daran, dass die Anleger, gefolgt von den Analysten, plötzlich erkannten, dass sie Schnäppchen vor sich hatten. So stockte Andrew Didora von der Bank of America nach einem Treffen mit Managern aller drei Unternehmen vergangenen Monat sein Kursziel für Carnival von 11 auf 20 Dollar je Aktie auf. Trotz der wohl für viele Jahre verlängerten Bilanz wies er darauf hin, dass der schuldenbereinigte Marktwert von Carnival pro Liegeplatz selbst nach den jüngsten Zuwächsen immer noch günstig sei im Vergleich zu den Werten vor der Pandemie.

Außerdem gehören diese Liegeplätze zu einer neueren, kraftstoffeffizienteren Flotte als vor Corona. Didora weist darauf hin, dass die jüngste Rentabilitätsprognose des Unternehmens pro Liegeplatz darauf hindeutet, dass der operative Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (EBITDA) bis zum Geschäftsjahr 2026 rund 6,7 Milliarden Dollar erreichen könnte.

Die Leistung der Kreuzfahrtgesellschaften sollte für Substanz-Investoren beruhigend sein. Was wie ein Dollar aussieht, kann aber an der Börse für eine frustrierend lange Zeit 60 Cent einbringen, und die Analysten sind selten diejenigen, die das von den Dächern schreien. Irgendwann schließlich könnten jedoch auch die Kreuzfahrtunternehmen ihre Schiffe im Hafen andocken.

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July 10, 2023 05:35 ET (09:35 GMT)