ANALYSE/Luxusmarken verkaufen sich nicht nur an die Superreichen

(Dow Jones Newswires)

Von Carol Ryan

LONDON (Dow Jones)--Hermes verkauft Nagelfeilen für 50 US-Dollar und Handcreme zum Preis von 105 Dollar. Luxusmarken vertreiben jedes Jahr Millionen dieser kleinen Gegenstände an Kunden, die sich vielleicht keine 10.000-Dollar-Handtasche leisten können. Gerade dieser erschwinglichere Teil der Luxusgüterindustrie erweist sich nun als Schwachstelle.

Die europäischen Luxusaktien haben in dieser Woche Milliarden an Marktkapitalisierung verloren. Prada-Aktien sackten um 11 Prozent ab, während die von Hermes und LVMH Moet Hennessy Louis Vuitton, die als die beiden sichersten Werte der Branche gelten, um 5 Prozent nachgaben. Die Anleger wurden offenbar durch Äußerungen auf einer Branchenkonferenz aufgeschreckt. Demnach lässt die Nachfrage nach preisgünstigen Designerwaren wie Turnschuhen oder Geldbörsen, die auf so genannte anspruchsvolle Kunden abzielen, in den USA nach.

Der Trend ist nicht neu, aber er gewinnt an Dynamik. Kreditkartendaten zeigen, dass sich die Luxusausgaben in den USA seit mindestens fünf Monaten abkühlen, insbesondere bei jüngeren Käufern, die durch die Inflation unter Druck geraten sind. Im April gaben die US-Bürger 18 Prozent weniger aus als im Vorjahresmonat, so der Citi-Luxusanalyst Thomas Chauvet, dessen Daten die Ausgaben der US-Verbraucher sowohl im In- als auch im Ausland verfolgen.

Zuletzt erklärte das nicht-börsennotierte Unternehmen Chanel, dass es eine Veränderung in ihren US-Geschäften beobachtet. Teure Marken hängen zwar stark von den Ausgaben der Superreichen ab, aber sie verkaufen auch viel an die Käufer am unteren Ende der Einkommensskala. Luxusverkäufe werden von "Millionen von Menschen, die kleine Dinge kaufen, und einer Handvoll Menschen, die gigantische Geldbeträge ausgeben" angetrieben, so Luca Solca, Luxusgüteranalyst bei Bernstein.

  Boston Consulting rechnet mit höheren Umsätzen durch die Superreichen

Einem Bericht der Boston Consulting Group (BCG) zufolge sind die obersten 5 Prozent der wohlhabendsten Käufer für rund 40 Prozent der weltweiten Luxusverkäufe verantwortlich. Der Rest stammt von wohlhabenden Verbrauchern, die bis zu 2.000 Euro pro Jahr für Luxusgüter ausgeben. Das obere Ende des Marktes wächst viel schneller - bis 2025 werden die reichsten Käufer für 60 Prozent der Luxusverkäufe verantwortlich sein, so die Prognose von BCG.

Aber die Branche ist nach wie vor auf die anspruchsvollen Käufer angewiesen, die einen Großteil des Umsatzes machen. Wenn diese Käufer den Gürtel enger schnallen, sind Luxusaktien möglicherweise nicht so defensiv, wie die Anleger hoffen. Und da die Trends in Europa dem US-Markt in der Regel um einige Monate hinterherhinken, könnte sich auch dort eine Verlangsamung abzeichnen. Unternehmen wie Burberry, die eine jüngere und preissensiblere Kundschaft haben, wären von einer Verlangsamung stärker betroffen als ihre höherpreisigen Konkurrenten. Hermès erwirtschaftete im ersten Quartal 2023 rund 11 Prozent des Konzernumsatzes mit Einstiegsprodukten wie Kosmetika, Parfums und Seidenschals - ein bedeutender Teil des Geschäfts, der aber wahrscheinlich unter dem Branchendurchschnitt liegt.

LVMH erlöst fast ein Drittel seines Gesamtumsatzes mit Produkten wie Lippenstiften, Rouge und Parfums. Diese Geschäftsfelder entwickeln sich nach wie vor sehr gut, aber das in Paris ansässige Unternehmen warnte auf seiner Telefonkonferenz zu den Ergebnissen des ersten Quartals, dass seine Cognac-Marke Hennessy in den USA unter Druck stehe. Die Inflation zwingt einige der Alkoholverbraucher zum Sparen. Selbst nach den Rückgängen in dieser Woche haben europäische Luxusaktien seit Januar im Durchschnitt um 16 Prozent zugelegt und rangieren damit über dem Anstieg des MSCI-Europe-Index von 11 Prozent. Gleichzeitig sahen sich einige Luxuskäufer gezwungen, ihre Ausgaben zu kürzen. Anleger könnten bald auf die harte Tour herausfinden, wie abhängig einige Luxusmarken von Käufern mit kleinen Budgets sind.

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May 26, 2023 09:15 ET (13:15 GMT)